Sechs Mandelbäume für Petrus Canisius
Hubert Salden, im April 2021
Freunde, dass der Mandelbaum
Schalom Ben-Chorin, 1942
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?
Diese Zeilen aus dem Lied „Das Zeichen“ des damals 20-jährigen Religionsphilosophen und Schriftstellers Schalom Ben-Chorin entstanden 1942, mitten im Krieg, und sollten die „unbändige Kraft des Lebens“ feiern – leuchten die Blüten des Mandelbaums doch bereits in weiß und rosa, wenn am Ende des Winters ringsum noch alles kahl und grau ist.
Diese Fähigkeit, das Leben zu feiern, Freund zu sein und allen Ortswechseln zum Trotz diese Freundschaften auch intensiv zu pflegen, zeichnen den Heiligen Petrus Canisius aus: Offen, aufmerksam und innig wendet er sich seinen Zeitgenossen zu. Jenseits von gesellschaftlichem Stand, Konfession und Profession, nimmt er den göttlichen Auftrag an uns Menschen, unserem Nächsten und damit dem Gemeinwohl, der Umwelt und den individuellen Erfordernissen unserer Zeit nach Kräften zu dienen, sehr ernst.
Die sechs Mandelbäume in der Ausstellung sind Sinnbild für die Kraft des Heiligen Canisius, Menschen zusammenzubringen, zu verbinden – das Trennende zu überwinden. Die Mandelbäume finden sich in der Sakramentskapelle im Dom und auf den Kanzeln der fünf Kirchen, welche Orte der Ausstellung sind.
Im Buch Jeremia 1,11f. steht geschrieben: „Das Wort des Herrn erging an mich. Was siehst du, Jeremia? Ich antwortete: Ich sehe den Zweig eines Mandelbaums. Da sprach der Herr zu mir: Du hast recht gesehen, denn ich wache über mein Wort, dass ich es halte.“
So ist der Mandelbaum also Symbol für Gottes lebendiges Wachen über seine Schöpfung, über sein gegebenes Wort, das er hält. Im Hebräischen klingt das Wort für wachsam und jenes für den Mandelbaum übrigens sehr ähnlich. Wachsam, nüchtern, sachlich und mit Herzensbildung richtet sich Canisius als Prediger an seine Zeitgenossen und an uns. Er versteht wie Jeremia sein Predigeramt als Auftrag, das Wort Gottes zu verkündigen und den Gläubigen als Seelsorger den Weg zur Vollkommenheit, zur Heiligkeit, zum „Im-Heil-Sein“ zu weisen.
In der Gestalt der Mandel (Mandorla) versinnbildlicht sich so die lichte, leuchtende Form des göttlichen Schutzes, der im Unterscheid zum Heiligenschein, der nur das Haupt des Geheiligten umgibt, den gesamten Menschen umfängt.
Die Melodie, die Bass-line des Heiligen Canisius ist das Laudato si: „Gelobt seist du, mein Herr, mit all deinen Geschöpfen.“ Dieses Lob der Herrlichkeit Gottes und sein standhaftes Wohlwollen gegenüber seinen Mitmenschen hält der Kirchenlehrer trotz hartnäckiger Widerstände und feindlicher Angriffe durch.
Die Mandelbäume sollen uns wie Bojen gleichermaßen durch die Ausstellung wie das Wirken des heiligen Canisius führen; sie bieten Orientierung in den Innenräumen der Kirchen, in denen die Ausstellung stattfindet, so wie die Stills aus den Filmen von Andrej Tarkovskij auf ihre Weise die gedanklichen Zugänge zur Melodie der Ausstellung in den Außenräumen darstellen.
Die Mandelbäume stehen auch für ein waches Lebendig-Sein und fordern uns dazu auf, Canisius und Jeremia dort zu hören, wo sie zu uns sprechen und uns scharf und deutlich ermahnen: nämlich uns Gedanken zu machen über die von uns stillschweigend tolerierten gesellschaftlichen Verhältnisse und die Gefährdung von Demokratie und sozialem Zusammenhalt.
Lassen wir nicht zu, dass der Mandelbaum seiner Bedeutung beraubt wird und wie so vieles andere statt dessen zu einem Symbol für eine auf Massenproduktion und Profitmaximierung reduzierten Gier wird: 1000 Quadratkilometer sich erstreckende Landstriche sind bereits „tote“ Anbauflächen, auf denen keine anderen Pflanzen mehr gedeihen und Tiere, selbst Bienen, keine Nahrung mehr finden können.
Um uns zu unterstützen und zu stärken, legt uns Canisius in seinen Bekenntnissen, einem Buch, das er vermutlich zumindest in Teilen in Innsbruck geschrieben hat, Lk 12, 48 ans Herz:
„Wem viel geschenkt worden ist, von dem wird man viel fordern; wem viel anvertraut worden ist, von dem wird man desto mehr verlangen.“ Er schließt sich selbst bei dieser Aufforderung mit ein.
So drängt er die Banker und Vermögensverwalter, darunter die Fugger und Welser standhaft darauf, Betrug und Wucher zu unterbinden und keine Zinsen zu verlangen. Er verlangt von den Herrschenden, sich für den Freikauf von Sklaven und gegen die Ausbeutung der Landbevölkerung einzusetzen und gerechter zu handeln.
Canisius erwartet von seinen Zeitgenossen ebenso wie von zeitgenössischen PoltikerInnen, die Religion niemals für ihre privaten Zwecke zu missbrauchen und für den Erhalt und die Ausdehnung der eigenen Macht zu beugen. Denn die äußere – gesellschaftliche – Haltung eines jeden Menschen ist immer untrennbar mit seinem inneren – intim-privaten – Glauben verbunden.
Der Mandelbaum trägt süße und bittere Früchte, je nach unseren getroffenen Entscheidungen.
Und die Konsequenzen dieser unserer Entscheidungen haben wir zu tragen. Wir können wie Canisius das Leben feiern, wo immer wir es finden oder gierig Profitmaximierung und Ungerechtigkeit vorantreiben, und damit – wie die ebenfalls in Mandeln enthaltene, giftige Blausäure, die die bereits in sehr geringen Mengen zum Tode führt – jedes Leben endgültig ersticken.
Diese Grundgedanken werden an den jeweiligen Ausstellungsorten vertieft, in dem sich zum Mandelbaum weitere Pflanzen mit symbolischer Bedeutung für die Sendung und Lebensführung des Hl. Canisius hinzugesellen:
- der Buchsbaum, der Canisius in seiner Beharrlichkeit und seine Ausrichtung auf das Kreuz als Lebensbaum thematisiert
- die Rosen, die seine Hingabe zu Gott zeigen, die für die Wundmale Christi stehen und so innen und außen, oben und unten, Leben und Tod verbinden
- der Pinienzapfen, der für Kraft und Treue steht
- die Zitronen, die von Canisius Klarheit und Wohltätigkeit zeugen. Sie führen den Blick auf den Glauben, das Kreuz und die Kirche, die Hauptanliegen Canisius.
Im Mandelbaum jedoch kulminieren all diese Anliegen.
Im Kontext von Kunst, Natur und Schöpfung steht er für konsequenten Einsatz und leidenschaftliche Hingabe, um sich dann als Baum des Paradieses zu entpuppen, wie in den letzten beiden Versen des Liedes von Schalom Ben-Chorin:
„Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“
Grundvoraussetzung dafür ist es jedoch, einander zu erkennen, miteinander zu sprechen, einander zuzuhören, sich bedingungslos füreinander einzusetzen und einander zu lieben.